Die dritte Ausgabe des benno barth award 2021 wurde im Jänner 2021 ausgeschrieben.
Innerhalb der Bewerbungsfrist vom 30.03.2021 wurden insgesamt 33 Bewerbungen eingereicht.
In der Jurysitzung vom 17.04.2021 wurde entschieden, den Förderpreis von insgesamt Euro 15.000 an zwei Kunstprojekte zu vergeben:
Eine Recherche über die Mörtelwespe und Transit
Heinz Mader hat durch Zufall etwas entdeckt, das ihn wegen seiner wunderschönen Form motiviert hat, näher hinzusehen. Ein kleines Gehäuse aus Lehm, von zirka zwei bis drei Zentimetern Länge, und mit einem runden Loch als Eingang. Es ist ein Lehmtönnchen, ein Brutkasten mit Nahrung, Kokon der orientalischen Mörtelwespe, Sceliphron curvatum, einer Wespe mit Migrationshintergrund: Nordwest Indien, Nepal, Kaschmir, Kirgisien, Afghanistan. Solitär und staatenlos wurde sie 1979 erstmals in Europa nachgewiesen und sie lebt dort ohne andere Arten zu gefährden.
Ein Beispiel für erfolgreiche Migration? Fürsorge, Emanzipation, Gastfreundschaft, Migration, Entpuppung, Identität – Themen, die Greta Mentzel und Heinz Mader zu einer Recherche anregten, jedoch nicht vor Ort in Pakistan oder Nepal, sondern in den Köpfen verschiedener Menschen. Zu den Fragen und Erzählungen aus den Gesprächen sind Zeichnungen, ein Film, ein Plakat und Performances entstanden. Es ist etwas in Bewegung geraten.
Caterina Laruccia – selbst eine „Mörtelwespe“ – zeichnete und wurde Protagonistin im Film. Nicht nur alles, was fliegt, wie Flugobst, spielt im Film eine Rolle. Sondern auch, was es heißt, als Frau zu migrieren, Bilder zu finden für den Zustand, im Nirgendwo zu existieren, sich zu „entpuppen“, sich anzusiedeln, zu leben und zu sterben. „Sie waren vor uns da und werden uns überleben. Sie begleiten uns seit Menschengedenken, so nah und alltäglich wie keine anderen Lebewesen“, zitiert das Plakat von Heinz Mader den Anthropologen Hugh Raffles. Am Ende des Films ist der Satz zu hören: „Eine Bekämpfung ist nicht nötig. Sie sollten sie nicht loswerden.“
Drei Insektenmasken wurden produziert, Schicht für Schicht wie die Lehmtönnchen und genauso exotisch wie die Mörtelwespe, die jede*r sein kann.
Greta Mentzel
Projekt Inventur (2021-2022)
Lebendige Bilder zu schaffen ist spätestens seit der Renaissance ein Desiderat an jeden Maler und Bildhauer. Das Projekt Inventur verfolgt diesen Anspruch auf buchstäbliche Weise: In einer Gemeinschaftsarbeit mit kleinsten Lebewesen aus unserer Umwelt entstehen „lebende“ Gemälde, die eine besondere Fürsorge und Pflege benötigen.
Die Ereignisse der letzten Jahre haben jegliche Phantasien menschlicher Allmacht endgültig in Ohnmacht verwandelt. Es ist höchste Zeit neue Kollaborateure – und zwar jenseits der menschlichen – zu suchen. Genau das habe ich versucht im Rahmen des benno barth award - Förderpreis für sozial engagierte Kunstprojekte zu tun und dabei den Begriff des „Sozialen“ über das rein Menschliche hinaus auszudehnen.
Es ging darum, verschiedene Lebensformen zusammenzubringen. Das Projekt Inventur geht dabei von einem sehr persönlichen Stoff aus, den handgewebten Leintüchern meiner Vorfahren. Die Stoffe stammen aus einer Zeit als „Upcycling“ – also das Wiederverwerten und Reparieren von Stoffen – noch zum Alltag der Südtiroler Bergbevölkerung gehörte. Die vielen kunstvoll angebrachten Flicken auf den Stoffen zeugen davon. Sie haben Geschichte(n), sie erzählen von ihrer Beanspruchung und den Menschen, die sich darin einmal gebettet haben. Das Projekt erfüllt sie sprichwörtlich mit neuem Leben.
Aus den Leintüchern meiner Vorfahren sind lebende Bilder geworden. Dazu wurden kleinste Mikroorganismen in die Stoffe eingesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Londoner Laboratorium Post Carbon Lab wurde dafür gesorgt, dass sie sich auch wirklich in die Textilien einnisten.
Inventur ist der Versuch einer Bestandsaufnahme, eine Forschungsreise zu einem neuen Kunstbegriff, an dem möglichst viele Lebewesen beteiligt sind. Der Förderpreis war der Auftakt zu einer Serie neuer vielgestaltiger Werke, die mit anderen Lebensformen entstanden sind. Werke, in denen sich das „andere“ eingenistet hat und das unsere Aufmerksamkeit benötigt.
Leander Schwazer, Wiesen im November 2023